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Markus Sikor, mein Mediations-Ausbilder, hat neulich getwittert, dass er total frustriert sei vom Treffen der „Gewaltfreien“: „Es gibt keine gewaltfreien Worte oder Begriffe – warum ist das so schwer zu kapieren?“

Es stimmt, es gibt keine gewaltfreien Worte.
Es reicht also nicht, Fluchworte wie Arsch oder Fo…. (ich kann das Wort einfach nicht zu Ende schreiben!) wegzulassen.
Es reicht nicht, die Vier Schritte anzuwenden und bei der Selbstaussage nur in Gefühlen und Bedürfnissen zu sprechen.
Es reicht auch nicht, sich beim Zuhören nur auf die Gefühle und Bedürfnisse des Gegenübers zu beziehen.
Sogar wenn man das alles perfekt beherrscht, ist es noch lange keine Gewaltfreie Kommunikation. Sorry, dass ich das sagen muss.

Gewaltfreie Kommunikation ohne Herz ist nur ein Verhör.
Konflikte mit meinem Mann werden immer seltener, aber wenn wir welche haben, läuft es manchmal so ab, dass ich einen Schmerz habe über etwas, was er gesagt oder getan hat, und teile das mit. Und er ist dann beleidigt oder sauer, weil sein Bedürfnis nach Anerkennung in Mangel geraten ist. Ich brauche dann Empathie, aber mein Mann leider auch. Was ich dann manchmal versuche, ist, ihm sozusagen mit meinem Notstromaggregat Empathie zu geben, um ihn in die Lage zu versetzen, dass er mir hinterher auch welche geben kann.
Ich kann nur davon abraten – es funktioniert nicht. Ich bin in solchen Situationen nur wie ein gut geschulter Kripo-Beamter. Mein Mann fühlt sich trotz perfekter GFK-Worte überhaupt nicht sicher. Denn meine innere Haltung ist nicht empathisch ist, obwohl ich seine Gefühle und Bedürfnisse zutreffend „ermittle“. Menschen wollen aber kein Ermittlungsverfahren. Denn in diesem Setting haben wir Angst, dass alles, was wir jetzt sagen, gegen uns verwendet werden wird.

Und es funktioniert auch aus einem anderen Grund nicht: Empathie ist kein Handel. Wenn ich dem anderen Empathie gebe, damit er mir hinterher auch welche gibt, dann schwingt diese Erwartung in der ganzen Konversation mit. Der andere spürt, dass ich etwas von ihm will. Er wird vorsichtig. Und zeigt sich nicht. Blöd für mich, aber so ist es eben.

Wenn wir „einen Hals haben“, hört man das sowieso.
Wenn da unausgesprochene Abwertungen sind, hört der andere sie – egal, wie gut wir sie verstecken. Es ist dann ehrlicher, dem anderen zu sagen, was wir über ihn denken, denn dann hat er wenigstens ein Gefühl von Stimmigkeit und Authentizität.

Ich kann die Vier Schritte nicht ausstehen.
Wenn ich Empathie brauche und es ist nur eine Oxford-Giraffe in der Nähe, dann äußere ich sicherheitshalber folgende Bitte: „Ich brauche Empathie, aber bitte wende nicht die vier Schritte auf mich an, ok?“  Denn ich möchte keinen GFK-Roboter, sondern ein lebendiges, mitfühlendes Gegenüber.  Die vier Schritte im Gespräch zu verwenden, das ist wie Einkaufen beim Aldi Süd – neben dem Eingang ist das Brot, gegenüber die Süßigkeiten, dann die Spirituosen, die Putzmittel usw. Ich weiß dann genau, was der andere wann sagen wird, und er wird völlig austauschbar. Da kann ich auch einen schriftlichen Selbstempathiezettel ausfüllen!

Gewaltfreie Kommunikation hat viel mehr mit dem Herzen zu tun als mit den Worten.
Die Vier Schritte können eine Hilfe sein, wenn man sich einfühlen will und das Herz ist schon offen, und man weiß vielleicht nur nicht, welche Worte man überhaupt benutzen soll. In diesem Fall ist man sich dann vielleicht schon bewusst, dass es schon perfekt sein kann, wenn man einfach nur die Klappe hält. Oder man äußert statt der Diagnose oder dem Ratschlag lieber das Gefühl, das man beim anderen wahrnimmt – idealerweise natürlich als Frage!
Oft kann ich wählen, ob ich eine Diagnose ausspreche oder einen Ratschlag, ob ich eine eigene Geschichte erzähle oder Gefühle bzw. Bedürfnisse abfrage –  bei mir liegen sie oft so nahe nebeneinander, dass ich mich entscheiden kann wie an einem Büffet. Und das ist ein Fall, wo es nützlich ist, die Vier Schritte zu kennen, denn ohne sie hätte ich vielleicht aus lauter Hilflosigkeit doch eine Diagnose abgesondert und dem Gegenüber dadurch nicht geholfen.

Giraffen sind oft sehr streng miteinander.
Man sagt oder schreibt einen Satz, und wenn kein Bedürfnis darin vorkommt, kriegt man gleich ein Knöllchen. Man darf auch nicht urteilen. Man muss einen anständigen Vier-Schritte-Satz sprechen, und sei er auch noch so blutleer.  Rumi sagt zwar  „Jenseits von Richtig und Falsch ist ein Ort, dort treffen wir uns“, aber Giraffen verstehen diesen Ort oft als richtig – das hat mich schon sehr früh gestört.
Das liegt daran, dass das Ego GFK korrumpiert, verschmutzt, verkopft hat, so wie es das mit allem macht, was ihm vor die Nase kommt.

Man kann auch GFK gut dazu benutzen, andere abzuwerten und sich hinter hohlen Phrasen zu verstecken – wenn man GFK als Methode anwendet. Aber GFK ist keine Methode, sondern eine Haltung. Das lernen zwar alle Giraffen ziemlich schnell, aber die Erkenntnis erschließt sich jedem eben nur nach seinen Möglichkeiten. Es ist wie mit einer schweren Eisentür, die das eigene Herz verschließt: wenn die Eisentür erst geschlossen war und nun einen klitzekleinen Spalt offen ist, dann ist das ein so unglaublich riesiger Unterschied zu vorher (weil jetzt zumindest ein bißchen Licht einfällt!), dass man glaubt, man habe nun die völlige Freiheit erreicht. Dass die Tür überhaupt noch weiter aufgehen kann, kann man sich in diesem Stadium gar nicht vorstellen. Aber ein anderer, dessen Tür schon zwei Handbreit offen ist, wundert sich, warum der erste so viel Aufhebens um einen winzigen Spalt macht.
Damit will ich sagen: Die Erkenntnis, dass GFK eine Haltung ist, vertieft sich immer  mehr. Je mehr GFK zur Haltung geworden ist, desto weniger hält man sich an die Vier Schritte. Desto verbundener wird man (hoffentlich) mit sich selbst. Desto mehr hört man mit dem Herzen zu. Desto weniger achtet man auf eine gewaltfrei-korrekte Sprache. Desto mehr findet man seinen eigenen Jargon.  Desto weniger schiebt man Bedürfnisworte wie Schutzschilde vor sich her.

Ich muss zugeben, dass ich mich vier Jahre lang nur mit dem Kopf „einfühlen“ konnte. Es war total mühsam.
Und dass ich es seit 2007 kann, ist auch nicht mein Verdienst. Es war einfach ein göttliches Geschenk, und es war sogar ein Nebenprodukt:  ich war nach Indien geflogen, um mich zur Deeksha-Geberin einweihen zu lassen (heute kann man das übrigens in Deutschland billiger haben). Es war so, wie wenn ein hochverschuldeter Mann unter einer Brücke einen Koffer mit Geld findet und auf einen Schlag alle seine Schulden bezahlen kann. Nach diesen drei Wochen konnte ich mich auf einmal mühelos einfühlen.

Ich sage das alles nicht, um „anzugeben“ (meine Tochter (11) hat nämlich gesagt, der Artikel klinge angeberisch). Ich sage das, weil es mir ein Herzensanliegen ist, dass wir den Fokus mehr auf die Öffnung unseres Herzens legen und uns nicht so sehr an Worten festhalten.